Nach England auswandern? Geht auch nach dem Brexit!

Viele Menschen, die nach England auswandern wollten, sahen ihre Felle mit dem Brexit davonschwimmen. Doch mittlerweile sind die neuen Regeln (relativ) klar und damit auch eine andere Tatsache: Es ist weiterhin möglich, auf die Insel auszuwandern. Es wird nur schwerer.

Wer darf heute noch nach England auswandern?

Einer der Hauptgründe für den Brexit, den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union, war der Wunsch nach stärkeren Einschränkungen der Einwanderung. Als EU-Mitglied galten nämlich für Großbritannien die Regeln der EU-Freizügigkeit: Jeder EU-Einwohner kann sich in einem EU-Land seiner Wahl niederlassen.

Darunter ächzte vor allem England, da hier mehrere Faktoren zusammenkamen. Ein neuer hoher Einwanderungsdruck vor allem aus dem Osten der EU traf auf den alten Einwanderungsdruck durch Einwohner von Commonwealth-Staaten wie Indien und Pakistan und einen Mangel an Wohnraum. Auch wenn die meisten EU-Neulinge fleißig arbeiteten, gelang es den EU-feindlichen Rechtskonservativen auf der Insel genug Stimmung zu machen, um den Brexit zu bewirken. „Take back control“ war einer ihrer bevorzugten Slogans.

Seit dem Austritt des Vereinigten Königreiches darf also nicht mehr einfach jeder EU-Bürger nach England auswandern (oder nach Schottland, Wales und Nordirland, aber wir konzentrieren uns hier auf England). Dies heißt jedoch nicht, dass gar keine EU-Ausländer mehr nach England auswandern dürfen. Sie müssen lediglich strengere Bedingungen erfüllen. Damit will die Regierung nach eigenen Angaben „Klasse statt Masse“ auf die Insel locken.

Das neue Punktesystem in Großbritannien

Zum 1. Januar 2021 wurde ein neues Punktesystem eingeführt für alle, die in Zukunft nach England auswandern möchten. Um den Ansprüchen der Regierung zu genügen, müssen Bewerber mindestens 70 Punkte erreichen. Dies klingt zunächst nach viel, allerdings gibt es schon 50 Punkte für den Nachweis über einen Arbeitsplatz und ausreichende Englischkenntnisse. Viele Pluspunkte sammeln Bewerber, wenn sie in einer Branche mit Fachkräftemangel (z.B. in der Krankenpflege) arbeiten.

Das Punktesystem gilt übrigens nicht nur für EU-Bürger, sondern für Menschen aus aller Welt, die nach England auswandern möchten. EU-Bürger haben jedoch einen Vorteil gegenüber vielen anderen: Sie können sich zunächst bis zu sechs Monate lang visafrei als Touristen auf der Insel aufhalten. In dieser Zeit dürfen sie zwar nicht arbeiten, aber sie können natürlich zu Bewerbungsgesprächen gehen.

Diese Gruppen dürfen nach England auswandern

Die meisten hoffnungsvollen Auswanderer dürften zu den sogenannten Fachkräften gehören, die ein Skilled Worker Visa erhalten. Die wichtigsten Voraussetzungen:

  • Ein Arbeitsangebot von einem vom Home Office (dem britischen Innenmisterium) lizenzierten Sponsor auf der erforderlichen Qualifikationsstufe.
  • Ein Jahresgehalt von mindestens £25.600.
  • Englischkenntnisse auf B1-Niveau des CERF.

Eine Ausnahme wird für Arbeitnehmer gemacht, die zwischen £20.480 und £25.600 verdienen, wenn sie in einer Branche mit Fachkräftemangel arbeiten, Berufsanfänger sind oder einen Doktortitel mitbringen (warum sich jemand mit Doktortitel mit einem Gehalt unter £25.000 abspeisen lassen würde, steht auf einem anderen Blatt).

Da Großbritannien besonders händeringend Fachkräfte im medizinischen Bereich sucht, die nach England auswandern wollen, können Menschen in dieser Branche ein spezielles Health and Care Visa beantragen. Der Unterschied zum regulären Arbeitsvisum sind u.a. reduzierte Gebühren und weitere Hilfestellungen. Allerdings gelten auch hier die gleichen Regeln für das Einkommen.

Daneben gibt es drei weitere Möglichkeiten:

Das Global Talent Visa für besonders qualifizierte Führungskräfte

Studentenvisa, die ihr Geld an den britischen Universitäten lassen

Diplomandenvisa für Doktoranden, die nach Abschluss des Studiums in England arbeiten oder nach Arbeit suchen wollen.

Einen umfassenderen Ratgeber hat die britische Regierung auch auf Deutsch als PDF bereitgestellt.

Bereits mehrfach hat sich gezeigt, dass sich die britische Regierung mit ihren strengen Regeln selbst in den Fuß geschossen hat, denn in vielen Niedriglohnbereichen wie im Transport und in der Gastronomie herrscht schon jetzt riesiger Fachkräftemangel. Zuletzt versuchte die Regierung LKW-Fahrer mit Sonderregelungen auf die Insel zu locken, doch diese waren mit so vielen Einschränkungen verbunden, dass das Angebot kaum Abnehmer fand.

Allgemein: Was ist bei Auswanderung nach England noch zu beachten?

Wer nach England auswandern will, der wird sich vermutlich (hoffentlich) schon ausführlicher mit dem Thema beschäftigt haben und die Eigenheiten Großbritanniens kennen. Ein Schock im positiven Sinn können für viele die Gehälter sein. So klingen beispielsweise die geforderten £25.600 Jahresgehalt nach zunächst nicht viel, allerdings bleibt in England viel mehr Netto vom Brutto übrig als in Deutschland. Bis zu einem Jahresgehalt bis £37.700 gilt beispielsweise ein Einkommensteuersatz von 20% (darüber wird es dann mit 40% teuer). Die Sozialabgaben (National Insurance) sind sogar noch niedriger und liegen bei maximal 12% des Bruttogehaltes.

Auf der anderen Seite sind die Lebenshaltungskosten in England sehr unterschiedlich. In Nordengland reichen £25.600 sehr viel weiter als im Großraum London. Die so häufig in britischen Filmen und Serien gezeigten tollen Häuser und Luxusappartements in London sind nämlich für Normalverbraucher unerschwinglich. Wohngemeinschaften, bei denen sich mehrere Menschen ein kleines Häuschen teilen, sind der Norm und nicht die Ausnahme. Da aber gerade in London ein ständiges Kommen und Gehen herrscht, können Menschen, die nach England auswandern wollen, meist sehr schnell ein Zimmer in einer WG finden. Für deutsche Auswanderungswillige empfehlen sich einige der unzähligen Gruppen auf Social-Media-Portale, um Anschluss an andere Deutsche auf der Insel zu finden, die mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Wer meint, er wäre draußen vor den Toren von London besser dran, der muss die enormen Kosten des Pendelns berücksichtigen. Eine Studie der BBC ergab, dass Pendler fast ein Fünftel ihres Gehaltes jährlich für die Bahnfahrten in die Stadt aufwenden müssen. Dazu kommen permanent überfüllte Bahnen und unzählige Zugausfälle. Das eigene Auto ist dank Parkplatzmangels und zahlreicher Zusatzgebühren wie der Congestion Charge fast nie eine Alternative.

Besser sieht es in anderen Regionen Englands aus, die sich in den letzten Jahren wirtschaftlich vielversprechend entwickelt haben, unter anderem im Nordwesten um Manchester und Liverpool. Daneben gibt es zahlreiche Menschen, die in landschaftlich schöne Regionen wie Cornwall auswandern, sei es, um dort im Tourismus aktiv zu werden oder einen Altersruhesitz zu finden.

Die Realitäten des English Way of Life

Für Auswanderer gilt natürlich grundsätzlich, dass sie ihr Wunschland gut kennen sollten. Auch wer nach England auswandern will, sollte wissen, dass England mehr ist als Tee und Sandwiches. Die Armut ist zum Teil erschreckend groß und viele Viertel der Großstädte werden von Bandenkriminalität geplagt. Immer wieder sind Übergriffe auf Frauen ein Thema. Es ist also sinnvoll, sich vorab gründlich mit der gewählten Stadt und empfehlenswerten Wohngebieten zu beschäftigen. Wer außerhalb einer Großstadt wohnen möchte und auf ein Auto angewiesen ist, sollte sich fragen, ob er/sie mühelos mit dem englischen Linksverkehr zurechtkommt.

Ganz wichtig sind auch Englischkenntnisse, vor allem außerhalb der kosmopolitischen Metropole London. Mit Fremdsprachen haben es die Engländer grundsätzlich nicht und wer mit den Feinheiten der englischen Sprache nicht vertraut ist, tritt schnell in Fettnäpfchen. Hinter der berühmten englischen Höflichkeit verbirgt sich nämlich nicht selten passiv-aggressives Verhalten, das sich vor allem im Ausdruck und Tonfall widerspiegelt.

Auch sonst ecken Ausländer immer wieder an, weil sie bestimmte Spielregeln ignorieren. Gerade Deutschen geht beispielsweise die englische Leidenschaft für vernünftiges geordnetes Schlange stehen völlig ab, doch „queue jumper“ machen sich schnell unbeliebt.

Aber davon abgesehen: Wer Land und Leute kennt und liebt, und sich auch nicht vom Wetter abschrecken lässt der sollte sich auch vom Brexit nicht abschrecken lassen und ruhig nach England auswandern. Er wird auch heute noch mit einem faszinierenden Land belohnt.