Das südostenglische Canterbury spielte in der englischen Geschichte immer wieder eine bedeutende Rolle. Bis heute lockt die zum Weltkulturerbe der UNESCO zählende Kathedrale jährlich über eine Million Besucher an. Nicht nur Pilger werden hier zum Staunen verleitet.
Die Ursprünge von Canterbury
In der Antike war die Region um den Fluss Stour vom keltischen Stamm der Cantiaci besiedelt, die der Grafschaft Kent ihren Namen gaben. Nach der Eroberung der neuen Provinz Britannien ließen sich die Römer dort nieder, räumten gründlich auf und gaben der neuen Siedlung den Namen Durovernum Cantiacorum. Die Reste des römischen Canterbury sind heute zusammen mit einem großen Silberschatz aus der Römerzeit im Canterbury Roman Museum in der Innenstadt zu sehen.
Im Jahr 595 schickten die Päpste den Mönch Augustinus von Rom als Missionar nach England. Ihm gelang es den angelsächsischen König Ethelbert in Canterbury zum Christentum zu bekehren und ihm ein Stück Land für eine Benediktinerabtei aus der Tasche zu leiern. Damit wurde Augustinus zum ersten Bischof von Canterbury. Die von ihm gegründete Abtei existierte von 598 bis 1538, ehe sie dem Bruch von Henry VIII mit der katholischen Kirche zum Opfer fiel.
Der berühmteste Mord der englischen Geschichte
Die alte Kathedrale neben der Abtei wurde 1067 bei einem Brand zerstört, was dem Erzbischof die Chance gab, eine neue imposante Kathedrale im gotischen Stil zu errichten. Im Jahr 1162 trat der streitbare Thomas Becket das Amt als Erzbischof von Canterbury an. Er war zuvor eng mit König Henry II befreundet gewesen, wandte sich aber zunehmend gegen die Krone und ihre Privilegien.
Endlose Streitereien folgten und verleiteten den genervten König zur legendären (aber historisch nicht belegten) Aussage, „will no one rid me of this turbulent priest?“. Vier Ritter nahmen ihn beim Wort, zogen gen Canterbury und ermordeten Thomas Becket am 29. Dezember 1170 vor dem Altar.
Für Henry II ging die Sache nach hinten los. Becket wurde schon bald zum Märtyrer erklärt und später heilig gesprochen, während der König öffentlich Buße tun musste. Die Kathedrale von Canterbury wurde zur wichtigsten Pilgerstätte Englands im Mittelalter und inspirierte wiederum Geoffrey Chaucer im 14. Jahrhundert zu seinen Canterbury Tales über eine Gruppe Pilger, die von London nach Canterbury wanderten. Sie gelten bis heute als eines der wichtigsten Werke der englischen Literatur.
Canterbury Cathedral in der Neuzeit
Als Henry VIII Mitte des 16. Jahrhunderts die katholischen Klöster und Kirchen auflösen ließ, wurde auch auch der Schrein von Thomas Becket zerstört. Puritaner gaben der Kathedrale im 17. Jahrhundert den Rest, als sie die Inneneinrichtung plünderten.
Dennoch blieb die imposante Gebäude an sich erhalten und wurde im Laufe der Zeit immer mal wieder renoviert oder umgebaut. Der marode Nord-West-Turm wurde beispielsweise im 19. Jahrhundert abgerissen und im gotischen Stil neu aufgebaut. Erst 1986 wurde ein neuer Altar an der Stelle errichtet, an der Thomas Becket einst ermordet wurde.
Wie so üblich in England ist der Besuch der Kathedrale zumindest für Erwachsene ab 18 Jahren nicht kostenlos. Sie zahlen £14.00 Eintritt. Für Kinder bis 17 Jahren gilt derzeit noch ein Kids Go Free Angebot, sofern sie von zahlenden Erwachsenen begleitet werden.
Zu den vielen Highlights gehören das Grabmal des Black Prince genannten Edward of Woodstock, der ein Jahr vor seinem Vater König Edward III starb und somit nie die Thronfolge antreten könnte, und der zeremonielle St Augustine’s Chair der Erzbischöfe von Canterbury, die heute automatisch auch Oberhaupt der anglikanischen Kirche sind und damit die wichtigsten Geistlichen im Land. In der Trinity Chapel zeigt ein Fenster die Wunder, die Becket nach seinem Tod angeblich vollbrachte.
Was gibt es noch in Canterbury?
Neben der Kathedrale selbst ist das Gelände des ehemaligen Klosters einen Rundgang wert. Vor allem der stimmungsvolle mittelalterliche Kreuzgang ist ein beliebtes Fotomotiv. Zwei sehenswerte architektonische Highlights aus der normannischen Zeit sind der Wasserturm, der das Kloster einst mit Wasser belieferte, und die überdachte Treppe, die zur King’s School Hall führt, einer der ältesten Schulen der Welt.
Vom ursprünglichen St Augustine’s Kloster aus dem 6. Jahrhundert (jenseits der Broad Street) sind nur noch Grundmauern erhalten. Zwischen Kloster und Kathedrale befindet sich eine kleine Grünfläche mit Statuen von König Ethelbert und Königin Bertha, die dem Christentum in England einst die Türe öffneten.
Der mittelalterliche Stadtkern mit einigen gut erhaltenen Häusern lässt sich relativ schnell zu Fuß erkunden. Besonders lohnenswert ist das Eastbridge Hospital, das im 12. Jahrhundert als Unterkunft für Pilger gegründet wurde. Das Wort Hospital wird hier noch im ursprünglichen Sinne als Ort der Gastfreundschaft (Hospitality) verwendet. Bis heute leben acht bedürftige Senioren in ihren eigenen Wohnungen. Abgesehen von diesem Bereich könnten große Teile des Hospitals, die mittelalterlichen Kapellen und der schöne Franciscan Garden besucht werden.
Während die Türme der Kathedrale nicht bestiegen werden können, bietet der Westgate Tower eine Alternative für einen schönen Ausblick über die Stadt. Dieser ist der letzte verbliebene Turm der mittelalterlichen Stadtbefestigung auf der Westseite. Das zugehörige Museum ist ebenfalls einen Blick wert.
Am Stour entlang nach Chillham
Der Stour mag sich hier Great Stour nennen, doch es handelt es sich um ein eher beschauliches Flüsschen, das sich durch die Stadt schlängelt. In den Sommermonaten können sich Touristen hier auf einem flachen Kahn über’s Wasser schippern lassen und dabei einige schöne uralte Weberhäuser am Ufer bewundern.
Wer gut zu Fuß ist (oder Fahrräder mieten will), der kann dem Verlauf des Stour bis in die Nachbardörfer Chartham und Chilham folgen. Chilham Castle ist ein schickes Landhaus, das sich bis heute in Privatbesitz befindet, aber teilweise besichtigt werden kann.
Ein anderes schönes Ausflugsziel ist das ganz auf den Badetourismus eingestellte Seebad Herne Bay nördlich von Canterbury. Hier locken kilometerlange Sandstrände und eine Pier.
Der Weg nach Canterbury
Auch heute folgen viele Besucher dem mittelalterlichen Pilgrim’s Way, der über 133 Meilen (214 Kilometer) und 15 Etappen von Winchester nach Canterbury führt. Allerdings geht es auch einfacher, nämlich mit der Eisenbahn.
Von London aus fahren die schnellsten Züge von St Pancras International in 54 Minuten nach Canterbury West. Langsamer, aber dafür (geringfügig) billiger sind die Züge von Victoria Station nach Canterbury West oder East. Der Zielbahnhof spielt dabei kaum eine Rolle, denn beide sind etwa gleich weit von der Kathedrale und dem mittelalterlichen Stadtkern entfernt.
Canterbury lässt sich sehr gut als Tagesausflug von London (oder einem anderen Standort) aus organisieren, denn mehr als einen Tag geben die Sehenswürdigkeiten nicht wirklich her. Wer über Nacht bleiben will, der findet vielfältige Angebote. Auf dem Gelände der Kathedrale befindet sich das edle Canterbury Cathedral Lodge Hotel. Angenehmer Nebeneffekt der recht hohen Zimmerpreise: Der Eintritt zur Kathedrale ist im Preis inbegriffen. Billiger sind die üblichen Ketten wie Travelodge und Premier Inn.